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Iphigenie auf Tauris - Goethe Johann Wolfgang - Страница 5
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
Orest. Pylades.
Orest:
Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller.
Als ich Apollen bat, das gra?liche
Geleit der Rachegeister von der Seite
Mir abzunehmen; schien er Hulf und Rettung
Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester,
Die uber Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen,
Gewissen Gotterworten zu versprechen;
Und nun erfullet sich's, da? alle Not
Mit meinem Leben vollig enden soll.
Wie leicht wird's mir, dem eine Gotterhand
Das Herz zusammendruckt, den Sinn betaubt,
Dem schonen Licht der Sonne zu entsagen.
Und sollen Atreus' Enkel in der Schlacht
Ein siegbekrontes Ende nicht gewinnen,
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater
Als Opfertier im Jammertode bluten:
So sei es! Besser hier vor dem Altar
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmorder stellt.
La?t mir so lange Ruh, ihr Unterird'schen,
Die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten
Herniedertraufelnd meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgela?ne Hunde spurend hetzt!
La?t mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags soll euch nicht sehn noch mich.
Der Erde schoner gruner Teppich soll
Kein Tummelplatz fur Larven sein. Dort unten
Such ich euch auf: dort bindet alle dann
Ein gleich Geschick in ew'ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
Und meines Banns unschuldigen Genossen,
Wie ungern nehm ich dich in jenes Trauerland
Fruhzeitig mit! Dein Leben oder Tod
Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.
Pylades:
Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit,
In jenes Schattenreich hinabzugehn.
Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade,
Die nach der schwarzen Nacht zu fuhren scheinen,
Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn und horche,
Ob nicht zu irgendeiner frohen Flucht
Die Gotter Rat und Wege zubereiten.
Der Tod, gefurchtet oder ungefurchtet,
Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterin
Schon, unsre Locken weihend abzuschneiden,
Die Hand erhebt, soll dein' und meine Rettung
Mein einziger Gedanke sein. Erhebe
Von diesem Unmut deine Seele; zweifelnd
Beschleunigest du die Gefahr. Apoll
Gab uns das Wort: im Heiligtum der Schwester
Sei Trost und Hulf und Ruckkehr dir bereitet.
Der Gotter Worte sind nicht doppelsinnig,
Wie der Gedruckte sie im Unmut wahnt.
Orest:
Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter schon mir um das zarte Haupt,
Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein stummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.
Wie oft, wenn still Elektra, meine Schwester,
Am Feuer in der tiefen Halle sa?,
Drangt ich beklommen mich an ihren Scho?
Und starrte, wie sie bitter weinte, sie
Mit gro?en Augen an. Dann sagte sie
Von unserm hohen Vater viel: wie sehr
Verlangt ich, ihn zu sehn, bei ihm zu sein!
Mich wunscht ich bald nach Troja, ihn bald her.
Es kam der Tag —
Pylades:
O la? von jener Stunde
Sich Hollengeister nachtlich unterhalten!
Uns gebe die Erinnrung schoner Zeit
Zu frischem Heldenlaufe neue Kraft.
Die Gotter brauchen manchen guten Mann
Zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde.
Sie haben noch auf dich gezahlt; sie gaben
Dich nicht dem Vater zum Geleite mit,
Da er unwillig nach dem Orkus ging.
Orest:
O war ich, seinen Saum ergreifend, ihm
Gefolgt!
Pylades:
So haben die, die dich erhielten,
Fur mich gesorgt: denn was ich worden ware,
Wenn du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken,
Da ich mit dir und deinetwillen nur
Seit meiner Kindheit leb und leben mag.
Orest:
Erinnre mich nicht jener schonen Tage,
Da mir dein Haus die freie Statte gab,
Dein edler Vater klug und liebevoll
Die halberstarrte junge Blute pflegte;
Da du, ein immer munterer Geselle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterling
Um eine dunkle Blume, jeden Tag
Um mich mit neuem Leben gaukeltest,
Mir deine Lust in meine Seele spieltest,
Da? ich, vergessend meiner Not, mit dir
In rascher Jugend hingerissen schwarmte.
Pylades:
Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.
Orest:
Sag: Meine Not begann, und du sprichst wahr.
Das ist das Angstliche von meinem Schicksal,
Da? ich wie ein verpesteter Vertriebner
Geheimen Schmerz und Tod im Busen trage;
Da?, wo ich den gesundsten Ort betrete,
Gar bald um mich die bluhenden Gesichter
Den Schmerzenszug langsamen Tods verraten.
Pylades:
Der Nachste war ich, diesen Tod zu sterben,
Wenn je dein Hauch, Orest, vergiftete.
Bin ich nicht immer noch voll Mut und Lust?
Und Lust und Liebe sind die Fittiche
Zu gro?en Taten.
Orest:
Gro?e Taten? Ja,
Ich wei? die Zeit, da wir sie vor uns sahn!
Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg' und Taler rannten und dereinst,
An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich,
Mit Keul und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem Rauber auf der Spur zu jagen hofften;
Und dann wir abends an der weiten See
Uns aneinanderlehnend ruhig sa?en,
Die Wellen bis zu unsern Fu?en spielten,
Die Welt so weit, so offen vor uns lag:
Da fuhr wohl einer manchmal nach dem Schwert,
Und kunft'ge Taten drangen wie die Sterne
Rings um uns her unzahlig aus der Nacht.
Pylades:
Unendlich ist das Werk, das zu vollfuhren
Die Seele dringt. Wir mochten jede Tat
So gro? gleich tun, als wie sie wachst und wird,
Wenn jahrelang durch Lander und Geschlechter
Der Mund der Dichter sie vermehrend walzt.
Es klingt so schon, was unsre Vater taten,
Wenn es, in stillen Abendschatten ruhend,
Der Jungling mit dem Ton der Harfe schlurft;
Und was wir tun, ist, wie es ihnen war,
Voll Muh und eitel Stuckwerk!
So laufen wir nach dem, was vor uns flieht,
Und achten nicht des Weges, den wir treten,
Und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte
Und ihres Erdelebens Spuren kaum.
Wir eilen immer ihrem Schatten nach,
Der gottergleich in einer weiten Ferne
Der Berge Haupt auf goldnen Wolken kront.
Ich halte nichts von dem, der von sich denkt,
Wie ihn das Volk vielleicht erheben mochte.
Allein, o Jungling, danke du den Gottern,
Da? sie so fruh durch dich so viel getan.
Orest:
Wenn sie dem Menschen frohe Tat bescheren,
Da? er ein Unheil von den Seinen wendet,
Da? er sein Reich vermehrt, die Grenzen sichert
Und alte Feinde fallen oder fliehn:
Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott
Des Lebens erste, letzte Lust gegonnt.
Mich haben sie zum Schlachter auserkoren,
Zum Morder meiner doch verehrten Mutter,
Und, eine Schandtat schandlich rachend, mich
Durch ihren Wink zugrund gerichtet. Glaube,
Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet,
Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll
Nicht ehrenvoll vergehn.
Pylades:
Die Gotter rachen
Der Vater Missetat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder bose, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg.
Et erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
Orest:
Uns fuhrt ihr Segen, dunkt mich, nicht hierher.
Pylades:
Doch wenigstens der hohen Gotter Wille.
Orest:
So ist's ihr Wille denn, der uns verderbt.
Pylades:
Tu, was sie dir gebieten, und erwarte!
Bringst du die Schwester zu Apollen hin
Und wohnen beide dann vereint zu Delphi,
Verehrt von einem Volk, das edel denkt,
So wird fur diese Tat das hohe Paar
Dir gnadig sein, sie werden aus der Hand
Der Unterird'schen dich erretten. Schon
In diesen heil'gen Hain wagt keine sich.
Orest:
So hab ich wenigstens geruh'gen Tod.
Pylades:
Ganz anders denk ich, und nicht ungeschickt
Hab ich das schon Geschehne mit dem Kunft'gen
Verbunden und im stillen ausgelegt.
Vielleicht reift in der Gotter Rat schon lange
Das gro?e Werk. Diana sehnet sich
Von diesem rauhen Ufer der Barbaren
Und ihren blut'gen Menschenopfern weg.
Wir waren zu der schonen Tat bestimmt,
Uns wird sie auferlegt, und seltsam sind
Wir an der Pforte schon gezwungen hier.
Orest:
Mit seltner Kunst flichtst du der Gotter Rat
Und deine Wunsche klug in eins zusammen.
Pylades:
Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht
Auf jener Willen droben achtend lauscht?
Zu einer schweren Tat beruft ein Gott
Den edeln Mann, der viel verbrach, und legt
Ihm auf, was uns unmoglich scheint, zu enden.
Es siegt der Held, und bu?end dienet er
Den Gottern und der Welt, die ihn verehrt.
Orest:
Bin ich bestimmt, zu leben und zu handeln,
So nehm ein Gott von meiner schweren Stirn
Den Schwindel weg, der auf dem schlupfrigen,
Mit Mutterblut besprengten Pfade fort
Mich zu den Toten rei?t. Er trockne gnadig
Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden
Entgegensprudelnd, ewig mich befleckt.
Pylades:
Erwart es ruhiger! Du mehrst das Ubel
Und nimmst das Amt der Furien auf dich.
La? mich nur sinnen, bleibe still! Zuletzt,
Bedarf's zur Tat vereinter Krafte, dann
Ruf ich dich auf, und beide schreiten wir
Mit uberlegter Kuhnheit zur Vollendung.
Orest:
Ich hor Ulyssen reden!
Pylades:
Spotte nicht!
Ein jeglicher mu? seinen Helden wahlen,
Dem er die Wege zum Olymp hinauf
Sich nacharbeitet. La? es mich gestehn:
Mir scheinen List und Klugheit nicht den Mann
Zu schanden, der sich kuhnen Taten weiht.
Orest:
Ich schatze den, der tapfer ist und grad.
Pylades:
Drum hab ich keinen Rat von dir verlangt.
Schon ist ein Schritt getan. Von unsern Wachtern
Hab ich bisher gar vieles ausgelockt.
Ich wei?, ein fremdes, gottergleiches Weib
Halt jenes blutige Gesetz gefesselt:
Ein reines Herz und Weihrauch und Gebet
Bringt sie den Gottern dar. Man ruhmet hoch
Die Gutige; man glaubet, sie entspringe
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