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Hermann und Dorothea - Goethe Johann Wolfgang - Страница 6
Euterpe
Mutter und Sohn
Also sprachen die Manner, sich unterhaltend. Die Mutter
Ging indessen, den Sohn erst vor dem Hause zu suchen,
Auf der steinernen Bank, wo sein gewohnlicher Sitz war.
Als sie daselbst ihn nicht fand, so ging sie, im Stalle zu schauen,
Ob er die herrlichen Pferde, die Hengste, selber besorgte,
Die er als Fohlen gekauft und die er niemand vertraute.
Und es sagte der Knecht:»Er ist in den Garten gegangen.»
Da durchschritt sie behende die langen doppelten Hofe,
Lie? die Stalle zuruck und die wohlgezimmerten Scheunen,
Trat in den Garten, der weit bis an die Mauern des Stadtchens
Reichte, schritt ihn hindurch und freute sich jegliches Wachstums,
Stellte die Stutzen zurecht, auf denen beladen die Aste
Ruhten des Apfelbaums, wie des Birnbaums lastende Zweige,
Nahm gleich einige Raupen vom kraftig strotzenden Kohl weg;
Denn ein geschaftiges Weib tut keine Schritte vergebens.
Also war sie ans Ende des langen Gartens gekommen,
Bis zur Laube, mit Gei?blatt bedeckt; nicht fand sie den Sohn da,
Ebensowenig, als sie bis jetzt ihn im Garten erblickte.
Aber nur angelehnt war das Pfortchen, das aus der Laube,
Aus besonderer Gunst, durch die Mauer des Stadtchens gebrochen
Hatte der Ahnherr einst, der wurdige Burgemeister.
Und so ging sie bequem den trocknen Graben hinuber,
Wo an der Stra?e sogleich der wohl umzaunete Weinberg
Aufstieg steileren Pfads, die Flache zur Sonne gekehret.
Auch den schritt sie hinauf und freute der Fulle der Trauben
Sich im Steigen, die kaum sich unter den Blattern verbargen.
Schattig war und bedeckt der hohe mittlere Laubgang,
Den man auf Stufen erstieg von unbehauenen Platten.
Und es hingen herein Gutedel und Muskateller,
Rotlich-blaue daneben von ganz besonderer Gro?e,
Alle mit Flei?e gepflanzt, der Gaste Nachtisch zu zieren.
Aber den ubrigen Berg bedeckten einzelne Stocke,
Kleinere Trauben tragend, von denen der kostliche Wein kommt.
Also schritt sie hinauf, sich schon des Herbstes erfreuend
Und des festlichen Tags, an dem die Gegend im Jubel
Trauben lieset und tritt und den Most in die Fasser versammelt,
Feuerwerke des Abends von allen Orten und Enden
Leuchten und knallen und so der Ernten schonste geehrt wird.
Doch unruhiger ging sie, nachdem sie dem Sohne gerufen
Zwei-, auch dreimal und nur das Echo vielfach zuruckkam,
Das von den Turmen der Stadt, ein sehr geschwatziges, herklang.
Ihn zu suchen war ihr so fremd; er entfernte sich niemals.
Weit, er sagt' es ihr denn, um zu verhuten die Sorge
Seiner liebenden Mutter und ihre Furcht vor dem Unfall.
Aber sie hoffte noch stets, ihn doch auf dem Wege zu finden;
Denn die Turen, die untre sowie die obre, des Weinbergs
Standen gleichfalls offen. Und so nun trat sie ins Feld ein,
Das mit weiter Flache den Rucken des Hugels bedeckte.
Immer noch wandelte sie auf eigenem Boden und freute
Sich der eigenen Saat und des herrlich nickenden Kornes,
Das mit goldener Kraft sich im ganzen Felde bewegte.
Zwischen den Ackern schritt sie hindurch, auf dem Raine, den Fu?pfad,
Hatte den Birnbaum im Auge, den gro?en, der auf dem Hugel
Stand, die Grenze der Felder, die ihrem Hause gehorten.
Wer ihn gepflanzt, man konnt' es nicht wissen. Er war in der Gegend
Weit und breit gesehn und beruhmt die Fruchte des Baumes.
Unter ihm pflegten die Schnitter des Mahls sich zu freuen am Mittag
Und die Hirten des Viehs in seinem Schatten zu warten;
Banke fanden sie da von rohen Steinen und Rasen.
Und sie irrete nicht; dort sa? ihr Hermann und ruhte,
Sa? mit dem Arme gestutzt und schien in die Gegend zu schauen
Jenseits, nach dem Gebirg, er kehrte der Mutter den Rucken.
Sachte schlich sie hinan und ruhrt' ihm leise die Schulter.
Und er wandte sich schnell; da sah sie ihm Tranen im Auge.
«Mutter«, sagt' er betroffen,»Ihr uberrascht mich!«Und eilig
Trocknet' er ab die Trane, der Jungling edlen Gefuhles.
«Wie? du weinest, mein Sohn?«versetzte die Mutter betroffen;
«Daran kenn ich dich nicht! ich habe das niemals erfahren!
Sag, was beklemmt dir das Herz? was treibt dich, einsam zu sitzen
Unter dem Birnbaum hier? was bringt dir Tranen ins Auge?»
Und es nahm sich zusammen der treffliche Jungling und sagte:
«Wahrlich, dem ist kein Herz im ehernen Busen, der jetzo
Nicht die Not der Menschen, der umgetriebnen, empfindet;
Dem ist kein Sinn in dem Haupte, der nicht um sein eigenes Wohl sich
Und um des Vaterlands Wohl in diesen Tagen bekummert.
Was ich heute gesehn und gehort, das ruhrte das Herz mir;
Und nun ging ich heraus und sah die herrliche weite
Landschaft, die sich vor uns in fruchtbaren Hugeln umherschlingt,
Sah die goldene Frucht den Garben entgegen sich neigen
Und ein reichliches Obst und volle Kammern versprechen.
Aber, ach! wie nah ist der Feind! Die Fluten des Rheines
Schutzen uns zwar; doch ach! was sind nun Fluten und Berge
Jenem schrecklichen Volke, das wie ein Gewitter daherzieht!
Denn sie rufen zusammen aus allen Enden die Jugend
Wie das Alter und dringen gewaltig vor, und die Menge
Scheut den Tod nicht; es dringt gleich nach der Menge die Menge.
Ach! und ein Deutscher wagt, in seinem Hause zu bleiben?
Hofft vielleicht zu entgehen dem alles bedrohenden Unfall?
Liebe Mutter, ich sag Euch, am heutigen Tage verdrie?t mich,
Da? man mich neulich entschuldigt, als man die Streitenden auslas
Aus den Burgern. Furwahr! ich bin der einzige Sohn nur,
Und die Wirtschaft ist gro? und wichtig unser Gewerbe;
Aber war' ich nicht besser, zu widerstehen da vorne
An der Grenze, als hier zu erwarten Elend und Knechtschaft?
Ja, mir hat es der Geist gesagt, und im innersten Busen
Regt sich Mut und Begier, dem Vaterlande zu leben
Und zu sterben und andern ein wurdiges Beispiel zu geben.
Wahrlich, ware die Kraft der deutschen Jugend beisammen,
An der Grenze, verbundet, nicht nachzugeben den Fremden,
Oh, sie sollten uns nicht den herrlichen Boden betreten
Und vor unseren Augen die Fruchte des Landes verzehren,
Nicht den Mannern gebieten und rauben Weiber und Madchen!
Sehet, Mutter, mir ist im tiefsten Herzen beschlossen,
Bald zu tun und gleich, was recht mir deucht und verstandig;
Denn wer lange bedenkt, der wahlt nicht immer das Beste.
Sehet, ich werde nicht wieder nach Hause kehren! Von hier aus
Geh ich gerad in die Stadt und ubergebe den Kriegern
Diesen Arm und dies Herz, dem Vaterlande zu dienen.
Sage der Vater alsdann, ob nicht der Ehre Gefuhl mir
Auch den Busen belebt und ob ich nicht hoher hinauf will!»
Da versetzte bedeutend die gute verstandige Mutter,
Stille Tranen vergie?end, sie kamen ihr leichtlich ins Auge:
«Sohn, was hat sich in dir verandert und deinem Gemute,
Da? du zu deiner Mutter nicht redest wie gestern und immer,
Offen und frei, und sagst, was deinen Wunschen gema? ist?
Horte jetzt ein Dritter dich reden, er wurde furwahr dich
Hochlich loben und deinen Entschlu? als den edelsten preisen,
Durch dein Wort verfuhrt und deine bedeutenden Reden.
Doch ich tadle dich nur; denn sieh, ich kenne dich besser.
Du verbirgst dein Herz und hast ganz andre Gedanken.
Denn ich wei? es, dich ruft nicht die Trommel, nicht die Trompete,
Nicht begehrst du zu scheinen in der Montur vor den Madchen;
Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist,
Wohl zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen.
Darum sage mir frei: was dringt dich zu dieser Entschlie?ung?»
Ernsthaft sagte der Sohn:»Ihr irret, Mutter. Ein Tag ist
Nicht dem anderen gleich. Der Jungling reifet zum Manne;
Besser im stillen reift er zur Tat oft als im Gerausche
Wilden, schwankenden Lebens, das manchen Jungling verderbt hat.
Und so still ich auch bin und war, so hat in der Brust mir
Doch sich gebildet ein Herz, das Unrecht hasset und Unbill,
Und ich verstehe recht gut die weltlichen Dinge zu sondern;
Auch hat die Arbeit den Arm und die Fu?e machtig gestarket.
Alles, fuhl ich, ist wahr; ich darf es kuhnlich behaupten.
Und doch tadelt Ihr mich mit Recht, o Mutter, und habt mich
Auf halbwahren Worten ertappt und halber Verstellung.
Denn, gesteh' ich es nur, nicht ruft die nahe Gefahr mich
Aus dem Hause des Vaters und nicht der hohe Gedanke,
Meinem Vaterland hulfreich zu sein und schrecklich den Feinden.
Worte waren es nur, die ich sprach: sie sollten vor Euch nur
Meine Gefuhle verstecken, die mir das Herz zerrei?en.
Und so la?t mich, o Mutter! Denn da ich vergebliche Wunsche
Hege im Busen, so mag auch mein Leben vergeblich dahingehn.
Denn ich wei? es recht wohl: der einzelne schadet sich selber,
Der sich hingibt, wenn sich nicht alle zum Ganzen bestreben.»
«Fahre nur fort«, so sagte darauf die verstandige Mutter,
«Alles mir zu erzahlen, das Gro?te wie das Geringste!
Denn die Manner sind heftig und denken nur immer das Letzte,
Und die Hindernis treibt die Heftigen leicht von dem Wege;
Aber ein Weib ist geschickt, auf Mittel zu denken, und wandelt
Auch den Umweg, geschickt zu ihrem Zweck zu gelangen.
Sage mir alles daher, warum du so heftig bewegt bist,
Wie ich dich niemals gesehn, und das Blut dir wallt in den Adern,
Wider Willen die Trane dem Auge sich dringt zu entsturzen.»
Da uberlie? sich dem Schmerze der gute Jungling und weinte,
Weinte laut an der Brust der Mutter und sprach so erweichet:
«Wahrlich! des Vaters Wort hat heute mich krankend getroffen,
Das ich niemals verdient, nicht heut und keinen der Tage.
Denn die Eltern zu ehren war fruh mein Liebstes, und niemand
Schien mir kluger zu sein und weiser, als die mich erzeugten
Und mit Ernst mir in dunkeler Zeit der Kindheit geboten.
Vieles hab ich furwahr von meinen Gespielen geduldet,
Wenn sie mit Tucke mir oft den guten Willen vergalten;
Oftmals hab ich an ihnen nicht Wurf noch Streiche gerochen:
Aber spotteten sie mir den Vater aus, wenn er sonntags
Aus der Kirche kam mit wurdig bedachtigem Schritte,
Lachten sie uber das Band der Mutze, die Blumen des Schlafrocks,
Den er so stattlich trug und der erst heute verschenkt ward:
Furchterlich ballte sich gleich die Faust mir, mit grimmigem Wuten
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