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Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung
Kent Alexander
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Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung - Kent Alexander - Страница 2
Allday lehnte sich gegen die feuchten Finknetze. Sie wurden vollgestopft mit Hangematten sein, wenn das Schiff erst auf dem neuen Kurs lag. Land voraus? Wahrscheinlich. Doch Allday spurte Kapitan Polands Unrast, so wie er sich auch seiner eigenen Angste bewu?t war. Gewohnlich war er froh, ja sogar erleichtert, das Land verlassen und wieder an Bord eines Schiffes gehen zu konnen. Aber diesmal war es nicht so gewesen.
Allday hatte gehort, wie man an Bord uber den Mann sprach, dem er diente und den er liebte wie sonst niemanden. Nein, die Truculent war nicht ihr Schiff. Er betastete diesen Gedanken im Geist wie eine frische Narbe. Die Truculent war nicht zu vergleichen mit der alten Hyperion.
Es war am 15. Oktober geschehen, vor weniger als vier Monaten. In seinem Herzen spurte er immer noch das Krachen jener furchterlichen Breitseiten, die Schreie, den Wahnsinn und dann… Der alte Schmerz zuckte durch seine Brust, und er griff nach ihm mit der Faust, schluckte Luft und wartete darauf, da? er aufhorte. Das war in einem anderen Ozean, einer anderen Schlacht gewesen, aber eine brennende Erinnerung an ihr gemeinsames Schicksal. Allday ahnte, was Poland hinter seiner regungslosen Miene dachte. Manner wie er konnten Richard Bolitho nie verstehen. Sie wollten es auch gar nicht.
Allday rieb sich die Brust und grinste. Ja, sie beide hatten viel gesehen und viel zusammen erlebt, Vizeadmiral Sir Richard Bolitho und er. Das Schicksal hatte sie zusammengesplei?t. Allday wischte sich Gischtflocken aus dem Gesicht und schuttelte den langen geteerten Zopf uber seinem Kragen. Die meisten Leute glaubten wahrscheinlich, da? es Bolitho an nichts mangelte. Seine letzten Ruhmestaten wurden in den Hafen und Kneipen Englands besungen, und Charles Dibdin oder einer seiner Freunde hatte sogar eine Ballade daruber komponiert:»Wie die Hyperion uns den Weg freischo?…«Das waren die Worte eines sterbenden Matrosen gewesen, dessen Hand Bolitho an jenem schrecklichen Tag bis zuletzt gehalten hatte, obwohl er gleichzeitig an hundert anderen Stellen benotigt wurde.
Nur die, die an seinen Gefechten teilgenommen hatten, wu?ten, wie Bolitho wirklich war. Sie kannten die Kraft und die Hingabe des Mannes mit den goldenen Schulterstucken, der seine Leute auch dann noch begeistern konnte, wenn sie halb wahnsinnig waren oder taub vom hollischen Larm der Schlacht. Der sie Mut fassen lie?, selbst im Angesicht des sicheren Todes. Trotzdem blieb Bolitho ein Au?enseiter, uber den die Londoner Gesellschaft die Nase rumpfte und in den Kaffeehausern Geruchte verbreitete. Allday richtete sich seufzend auf. Der Schmerz kam nicht wieder. Die Schwatzer waren alle uberrascht gewesen, wenn sie gewu?t hatten, wie wenig Bolitho sich darum scherte. Er horte Polands kurzes Kommando:»Einen guten Mann nach oben, wenn ich bitten darf!»
Allday fuhlte fast Mitleid mit dem Ersten, als der antwortete:»Bereits geschehen, Sir. Ich habe einen Gehilfen des Masters in den Fockmast geschickt, als die Wache an Deck kam.»
Beim Weggehen funkelte Poland den mu?igen Bootssteurer des Admirals an.»Nur die Achterdeckswache und meine Offiziere durfen hier. «Aber er verschluckte den Rest und trat zum Kompa?.
Allday stapfte den Niedergang hinunter und tauchte wieder in die Geruche und Gerausche des Schiffes ein: Teer, Farbe, Tauwerk und Salz. Er horte gebellte Kommandos, das Quietschen von Spieren und Blocken, das Stampfen Dutzender nackter Fu?e, als die Manner ihre Kraft gegen den Druck von Wasser und Wind warfen und das Schiff uber Stag ging, auf den neuen Kurs.
An der Tur zur Achterkajute stand der Posten der Seesoldaten steif unter einer wild tanzenden Lampe. In seinem roten Rock kippte er fast um, als das Ruder hart ubergelegt wurde. Allday nickte ihm zu und stie? die Lamellentur auf. Er mi?brauchte seine Vorrechte selten, aber es machte ihn stolz, hier nach eigenem Willen kommen und gehen zu konnen. Wieder etwas, das Kapitan Poland argerte, dachte er und kicherte. Fast stie? er mit Ozzard zusammen, Bolithos schmachtigem Steward, der sich mit ein paar Hemden zum Waschen davondruckte, grau und unauffallig wie ein Maulwurf.»Wie geht's ihm?»
Ozzard sah sich um. Hinter den Schlafstellen und Polands Schwingkoje lag die Kajute fast noch im Dunkeln — bis auf eine einsame Laterne. Er murmelte:»Hat sich nicht bewegt. «Dann war er verschwunden: verla?lich, verschwiegen und immer da, wenn er gebraucht wurde. Ozzard brutete wohl immer noch uber seinem Verhalten an jenem Tag im Oktober, als die alte Hyperion zwar den Kampf gewonnen, aber danach untergegangen war. Nur Allday wu?te, da? Ozzard vorgehabt hatte, mit ihr zu sterben, mit all den Toten und Verwundeten. Der Grund dafur war sein Geheimnis. Ob Bolitho ihn ahnte?
Dann sah er Bolithos bleiche Gestalt vor den breiten Heckfenstern. Er sa? auf der Bank, ein Knie angezogen, und sein Hemd leuchtete wei? vor dem bewegten Wasser drau?en.
Allday sagte unsicher:»Ich hole noch eine Laterne, Sir Richard.»
Bolitho wandte den Kopf, aber seine grauen Augen blieben im Schatten.»Es wird bald hell genug sein, mein Freund. «Unwillkurlich beruhrte er sein linkes Augenlid.»Wir werden heute wohl Land sichten.»
So ruhig gesagt, dachte Allday, und doch mu?ten ihm Kopf und Herz von Erinnerungen uberquellen, von guten und bosen. Aber seine Stimme verriet nichts davon, auch nichts von der Sehschwache seines linken Auges.
«Wenn nicht, wird Kapt'n Poland gottslasterlich fluchen, darauf wette ich«, sagte Allday.
Bolitho lachelte und wandte sich wieder der See zu, die ums Ruder kochte, als wurde gleich ein gro?er Fisch das Wasser durchsto?en, um nach der Fregatte zu schnappen. Er liebte die Morgendammerung auf See. Auf so vielen und so unterschiedlichen Gewassern hatte er sie erlebt, von den stillen blauen Tiefen der gro?en Sudsee bis zu den wutenden grauen Wusten des Atlantiks. Jedes Meer hatte sich ihm so unverwechselbar eingepragt wie die Schiffe und die Manner, die sich mit ihm gemessen hatten.
Er hatte gehofft, da? der neue Tag ihm Befreiung bringen wurde von seinen bohrenden Gedanken. Ein gutes, sauberes Hemd, eine grundliche Rasur von Allday — danach fuhlte er sich meist wohler. Aber diesmal nicht.
Wieder horte er die Pfeifen schrillen und konnte sich leicht die systematische Hektik an Deck vorstellen, als die Segel getrimmt und Brassen und Fallen dichtgeholt wurden. Insgeheim wurde er wohl immer der Fregattenkapitan bleiben, der er einst gewesen war, als Allday an Bord kam, geschnappt von einem Pre?kommando. Seit damals hatten sie viele tausend Meilen gesegelt und zu viele Manner verloren: Gesichter, so schnell weggewischt wie Kreidestriche von einer Tafel.
Bolitho sah das erste Licht auf den Wellenkammen; zu beiden Seiten des Ruders teilte sich golden der Schaum, als die Morgensonne uber die Kimm zu steigen begann. Da stand er auf und stutzte sich aufs Fenstersull, um der See ins Gesicht zu blicken.
Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, an den Admiral, der ihm den verha?ten Befehl gegeben hatte. Vergeblich hatte er protestiert, es war das einzige Kommando, das ihm die Admiralitat nach seinem schrecklichen Fieber zugebilligt hatte.
«Schlie?lich waren Sie doch einmal Fregattenkapitan, Bolitho. «Ja, aber vor zwolf Jahren — oder noch langer! Am Ende hatte man ihm die alte Hyperion geben mussen und das wohl auch nur wegen der blutigen Revolution in Frankreich und wegen des Krieges, der ihr folgte und bis zu diesem Tag tobte.
Die Hyperion wurde das wichtigste Schiff seines Lebens. Viele hatten an seiner Urteilsfahigkeit gezweifelt, als er sich den alten Vierundsiebziger als Flaggschiff erbat. Aber sie schien die richtige Wahl zu sein, die einzige. Und nun war sie im letzten Oktober gesunken, nachdem sie im Mittelmeer Bolithos Geschwader gegen eine viel starkere Streitmacht spanischer Schiffe angefuhrt hatte, die sein alter Feind, Admiral Don Alberto Casares, kommandierte. Es war ein verzweifeltes Gefecht gewesen, und von den ersten Breitseiten an war der Ausgang vollig ungewi?. Obwohl es unmoglich schien, hatten sie die Spanier schlie?lich doch geschlagen und sogar einige Prisen mit nach Gibraltar gebracht.
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