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Clavigo - Goethe Johann Wolfgang - Страница 5
Clavigo. Es entfahrt ihm ein tiefer Seufzer, den er zu verbergen sucht, und ganz au?er sich ist.
Beaumarchais.
Die Sache hatte zu gro?es Aufsehn gemacht, als da? man die Entwicklung sollte gleichgultig angesehen haben. Ein Haus fur zwei Familien war gemietet. Die ganze Stadt sprach davon. Alle Freunde waren aufs hochste aufgebracht und suchten Rache. Man wendete sich an machtige Gonner; allein der Nichtswurdige, der nun schon in den Kabalen des Hofs initiieret war, wei? alle Bemuhungen fruchtlos zu machen und geht in seiner Insolenz so weit, da? er es wagt, den Unglucklichen zu drohen, wagt, denen Freunden, die sich zu ihm begeben, ins Gesicht zu sagen: die Franzosinnen sollten sich in acht nehmen, er biete sie auf, ihm zu schaden, und wenn sie sich unterstanden, etwas gegen ihn zu unternehmen, so war's ihm ein leichtes, sie in einem fremden Lande zu verderben, wo sie ohne Schutz und Hulfe seien.
Das arme Madchen fiel auf die Nachricht in Konvulsionen, die ihr den Tod drohten. In der Tiefe ihres Jammers schreibt die Altste nach Frankreich die offenbare Beschimpfung, die ihnen angetan worden. Die Nachricht bewegt ihren Bruder aufs schrecklichste, er verlangt seinen Abschied, um in so einer verwirrten Sache selbst Rat und Hulfe zu schaffen, er ist im Fluge von Paris zu Madrid, und der Bruder — bin ich! der alles verlassen hat, Vaterland, Pflichten, Familie, Stand, Vergnugen, um in Spanien eine unschuldige, ungluckliche Schwester zu rachen.
Ich komme, bewaffnet mit der besten Sache und aller Entschlossenheit, einen Verrater zu entlarven, mit blutigen Zugen seine Seele auf sein Gesicht zu zeichnen, und der Verrater — bist du!
Clavigo.
Horen Sie mich, mein Herr — Ich bin — Ich habe — Ich zweifle nicht —
Beaumarchais.
Unterbrechen Sie mich nicht. Sie haben mir nichts zu sagen und viel von mir zu horen.
Nun um einen Anfang zu machen, sein Sie so gutig, vor diesem Herrn, der expre? mit mir aus Frankreich gekommen ist, zu erklaren: ob meine Schwester durch irgend eine Treulosigkeit, Leichtsinn, Schwachheit, Unart oder sonst einen Fehler diese offentliche Beschimpfung um Sie verdient habe.
Clavigo.
Nein, mein Herr. Ihre Schwester, Donna Maria, ist ein Frauenzimmer voll Geist, Liebenswurdigkeit und Tugend.
Beaumarchais.
Hat sie Ihnen jemals seit Ihrem Umgange eine Gelegenheit gegeben, sich uber sie zu beklagen, oder sie geringer zu achten?
Clavigo.
Nie! Niemals!
Beaumarchais aufstehend.
Und warum, Ungeheuer! hattest du die Grausamkeit, das Madchen zu Tode zu qualen? Nur weil dich ihr Herz zehn andern vorzog, die alle rechtschaffner und reicher waren als du.
Clavigo.
Oh mein Herr! Wenn Sie wu?ten, wie ich verhetzt worden bin, wie ich durch mancherlei Ratgeber und Umstande —
Beaumarchais.
Genug!
Zu Saint George.
Sie haben die Rechtfertigung meiner Schwester gehort; gehn Sie und breiten Sie es aus! Was ich dem Herrn weiter zu sagen habe, braucht keine Zeugen.
Clavigo steht auf. Saint George geht.
Beaumarchais.
Bleiben Sie! Bleiben Sie!
Beide setzen sich wieder.
Da wir nun so weit sind, will ich Ihnen einen Vorschlag tun, den Sie hoffentlich billigen werden.
Es ist Ihre Konvenienz und meine, da? Sie Marien nicht heiraten, und Sie fuhlen wohl, da? ich nicht gekommen bin, den Komodienbruder zu machen, der den Roman entwikeln und seiner Schwester einen Mann schaffen will. Sie haben ein ehrliches Madchen mit kaltem Blute beschimpft, weil Sie glauben, in einem fremden Lande sei sie ohne Beistand und Racher. So handelt ein Niedertrachtiger, ein Nichtswurdiger. Und also, zuvorderst erklaren Sie eigenhandig, freiwillig, bei offenen Turen, in Gegenwart Ihrer Bedienten: da? Sie ein abscheulicher Mensch sind, der meine Schwester betrogen, verraten, ohne die mindeste Ursache erniedrigt hat; und mit dieser Erklarung geh ich nach Aranjuez, wo sich unser Gesandte aufhalt, ich zeige sie, ich lasse sie drucken, und ubermorgen ist der Hof und die Stadt davon uberschwemmt. Ich habe machtige Freunde hier, Zeit und Geld, und das alles wend' ich an, um Sie auf alle Weise aufs grausamste zu verfolgen, bis der Zorn meiner Schwester sich legt, befriedigt ist, und mir Einhalt tut.
Clavigo.
Ich tue diese Erklarung nicht.
Beaumarchais.
Das glaub ich, denn vielleicht tat ich sie an Ihrer Stelle ebensowenig. Aber hier ist das andere: Schreiben Sie nicht, so bleib ich von diesem Augenblicke bei Ihnen, ich verlasse Sie nicht, ich folge Ihnen uberallhin, bis Sie, einer solchen Gesellschaft uberdrussig, hinter Buenretiro meiner loszuwerden gesucht haben. Bin ich glucklicher als Sie: ohne den Gesandten zu sehn, ohne mit einem Menschen hier gesprochen zu haben, fass' ich meine sterbende Schwester in meine Arme, hebe sie in meinen Wagen und kehre mit ihr nach Frankreich zuruck. Begunstigt Sie so das Schicksal, so hab ich das Meine getan, und so lachen Sie denn auf unsere Kosten. Unterdessen das Fruhstuck!
Beaumarchais zieht die Schelle. Ein Bedienter bringt die Schokolade, Beaumarchais nimmt seine Tasse und geht in der ansto?enden Galerie spazieren, die Gemalde betrachtend.
Clavigo.
Luft! Luft! — Das hat dich uberrascht, angepackt wie einen Knaben. — Wo bist du, Clavigo? Wie willst du das enden? — Wie kannst du das enden? — Ein schrecklicher Zustand, in den dich deine Torheit, deine Verraterei gesturzt hat!
Er greift nach dem Degen auf dem Tisch.
Ha! Kurz und gut! —
Er la?t ihn liegen. —
Und da ware kein Weg, kein Mittel, als Tod — oder Mord, abscheulicher Mord! — Das ungluckliche Madchen ihres letzten Trostes, ihres einzigen Beistandes zu berauben, ihres Bruders! — Des edlen, braven Menschen Blut zu sehen! — Und so den doppelten unertraglichen Fluch einer vernichteten Familie auf dich zu laden! — O, das war die Aussicht nicht, als das liebenswurdige Geschopf dich die erste Stunden ihrer Bekanntschaft mit so viel Reizen anzog! Und da du sie verlie?est, sahst du nicht die gra?lichen Folgen deiner Schandtat! — Welche Seligkeit wartete dein in ihren Armen! in der Freundschaft solch eines Bruders! — Marie! Marie! O da? du vergeben konntest! da? ich zu deinen Fu?en das alles abweinen durfte! — Und warum nicht? — Mein Herz geht mir uber; meine Seele geht mir auf in Hoffnung! — Mein Herr!
Beaumarchais.
Was beschlie?en Sie?
Clavigo.
Horen Sie mich! Mein Betragen gegen Ihre Schwester ist nicht zu entschuldigen. Die Eitelkeit hat mich verfuhrt. Ich furchtete, meine Plane, meine Aussichten auf ein ruhmvolles Leben durch diese Heirat zugrunde zu richten. Hatte ich wissen konnen, da? sie so einen Bruder habe, sie wurde in meinen Augen keine unbedeutende Fremde gewesen sein; ich wurde die ansehnlichsten Vorteile von dieser Verbindung gehofft haben. Sie erfullen mich, mein Herr, mit der gro?ten Hochachtung fur Sie; und indem Sie mir auf diese Weise mein Unrecht lebhaft empfinden machen, flo?en Sie mir eine Begierde ein, eine Kraft, alles wieder gutzumachen.Ich werfe mich zu Ihren Fu?en! Helfen Sie! Helfen Sie, wenn's moglich ist, meine Schuld austilgen und das Ungluck endigen! Geben Sie mir Ihre Schwester wieder, mein Herr, geben Sie mich ihr! Wie glucklich war ich, von Ihrer Hand eine Gattin und die Vergebung aller meiner Fehler zu erhalten!
Beaumarchais.
Es ist zu spat! Meine Schwester liebt Sie nicht mehr, und ich verabscheue Sie. Schreiben Sie die verlangte Erklarung, das ist alles, was ich von Ihnen fordere, und uberlassen Sie mir die Sorgfalt einer ausgesuchten Rache!
Clavigo.
Ihre Hartnackigkeit ist weder gerecht noch klug. Ich gebe Ihnen zu, da? es hier nicht auf mich ankommt, ob ich eine so weit verschlimmerte Sache wieder gutmachen will. — Ob ich sie gutmachen kann, das hangt von dem Herzen Ihrer vortrefflichen Schwester ab, ob sie einen Elenden wieder ansehen mag, der nicht verdient das Tageslicht zu sehen. Allein Ihre Pflicht ist's, mein Herr, das zu prufen und darnach sich zu betragen, wenn Ihr Schritt nicht einer jugendlichen unbesonnenen Hitze ahnlich sehen soll. Wenn Donna Maria unbeweglich ist — o ich kenne das Herz! o ihre Gute, ihre himmlische Seele schwebt mir ganz lebhaft vor! Wenn sie unerbittlich ist, dann ist es Zeit, mein Herr.
Beaumarchais.
Ich bestehe auf der Erklarung.
Clavigo nach dem Tisch zu gehend.
Und wenn ich nach dem Degen greife?
Beaumarchais gehend.
Gut, mein Herr! Schon, mein Herr!
Clavigo ihn zuruckhaltend.
Noch ein Wort. Sie haben die gute Sache; lassen Sie mich die Klugheit fur Sie haben. Bedenken Sie, was Sie tun! Auf beide Falle sind wir alle unwiederbringlich verloren. Mu?t' ich nicht fur Schmerz, fur Beangstigung untergehen, wenn Ihr Blut meinen Degen farben sollte, wenn ich Marien noch uber all ihr Ungluck auch ihren Bruder raubte, und dann — der Morder des Clavigo wurde die Pyrenaen nicht zuruckmessen.
Beaumarchais.
Die Erklarung, mein Herr, die Erklarung!
Clavigo.
So sei's denn. Ich will alles tun, um Sie von der aufrichtigen Gesinnung zu uberzeugen, die mir Ihre Gegenwart einflo?t. Ich will die Erklarung schreiben, ich will sie schreiben aus Ihrem Munde. Nur versprechen Sie mir, nicht eher Gebrauch davon zu machen, bis ich im stande gewesen bin, Donna Maria von meinem geanderten, reuvollen Herzen zu uberzeugen; bis ich mit Ihrer Altesten ein Wort gesprochen, bis diese ihr gutiges Vorwort bei meiner Geliebten eingelegt hat. So lange, mein Herr!
Beaumarchais.
Ich gehe nach Aranjuez.
Clavigo.
Gut denn, bis Sie wiederkommen, so lange bleibt die Erklarung in Ihrem Portefeuille; hab ich meine Vergebung nicht, so lassen Sie Ihrer Rache vollen Lauf. Dieser Vorschlag ist gerecht, anstandig, klug, und wenn Sie nicht wollen, so sei's denn unter uns beiden um Leben und Tod gespielt. Und der das Opfer seiner Ubereilung wird, sind immer Sie und Ihre arme Schwester.
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