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Der Mann von f?nfzig Jahren - фон Гёте Иоганн Вольфганг - Страница 10
Unsere Leser uberzeugen sich wohl, da? von diesem Punkte an wir beim Vortrag unserer Geschichte nicht mehr darstellend, sondern erzahlend und betrachtend verfahren mussen, wenn wir in die Gemutszustande, auf welche jetzt alles ankommt, eindringen und sie uns vergegenwartigen wollen.
Wir berichten also zuerst, da? der Major, seitdem wir ihn aus den Augen verloren, seine Zeit fortwahrend jenem Familiengeschaft gewidmet, dabei aber, so schon und einfach es auch vorlag, doch in manchem Einzelnen auf unerwartete Hindernisse traf. Wie es denn uberhaupt so leicht nicht ist, einen alten verworrenen Zustand zu entwickeln und die vielen verschrankten Faden auf einen Knaul zu winden. Da er nun deshalb den Ort ofters verandern mu?te, um bei verschiedenen Stellen und Personen die Angelegenheit zu betreiben, so gelangten die Briefe der Schwester nur langsam und unordentlich zu ihm. Die Verirrung des Sohnes und dessen Krankheit erfuhr er zuerst; dann horte er von einem Urlaub, den er nicht begriff. Da? Hilariens Neigung im Umwenden begriffen sei, blieb ihm verborgen, denn wie hatte die Schwester ihn davon unterrichten mogen!
Auf die Nachricht der Uberschwemmung beschleunigte er seine Reise, kam jedoch erst nach eingefallenem Frost in die Nahe der Eisfelder, schaffte sich Schrittschuhe, sendete Knechte und Pferde durch einen Umweg nach dem Schlosse, und sich mit raschem Lauf dorthin bewegend, gelangte er, die erleuchteten Fenster schon von ferne schauend, in einer tagklaren Nacht zum unerfreulichsten Anschauen und war mit sich selbst in die unangenehmste Verwirrung geraten.
Der Ubergang von innerer Wahrheit zum au?ern Wirklichen ist im Kontrast immer schmerzlich; und sollte Lieben und Bleiben nicht eben die Rechte haben wie Scheiden und Meiden? Und doch, wenn sich eins vom andern losrei?t, entsteht in der Seele eine ungeheure Kluft, in der schon manches Herz zugrunde ging. Ja der Wahn hat, solange er dauert, eine unuberwindliche Wahrheit, und nur mannliche, tuchtige Geister werden durch Erkennen eines Irrtums erhoht und gestarkt. Eine solche Entdeckung hebt sie uber sich selbst, sie stehen uber sich erhoben und blicken, indem der alte Weg versperrt ist, schnell umher nach einem neuen, um ihn alsofort frisch und mutig anzutreten.
Unzahlig sind die Verlegenheiten, in welche sich der Mensch in solchen Augenblicken versetzt sieht; unzahlig die Mittel, welche eine erfinderische Natur innerhalb ihrer eigenen Krafte zu entdecken, sodann aber auch, wenn diese nicht auslangen, au?erhalb ihres Bereichs freundlich anzudeuten wei?.
Zu gutem Gluck jedoch war der Major durch ein halbes Bewu?tsein, ohne sein Wollen und Trachten, schon auf einen solchen Fall im tiefsten vorbereitet. Seitdem er den kosmetischen Kammerdiener verabschiedet, sich seinem naturlichen Lebensgange wieder uberlassen, auf den Schein Anspruche zu machen aufgehort hatte, empfand er sich am eigentlichen korperlichen Behagen einigerma?en verkurzt. Er empfand das Unangenehme eines Uberganges vom ersten Liebhaber zum zartlichen Vater; und doch wollte diese Rolle immer mehr und mehr sich ihm aufdringen. Die Sorgfalt fur das Schicksal Hilariens und der Seinigen trat immer zuerst in seinen Gedanken hervor, bis das Gefuhl von Liebe, von Hang, von Verlangen annahernder Gegenwart sich erst spater entfaltete. Und wenn er sich Hilarien in seinen Armen dachte, so war es ihr Gluck, was er beherzigte, das er ihr zu schaffen wunschte, mehr als die Wonne, sie zu besitzen. Ja er mu?te sich, wenn er ihres Andenkens rein genie?en wollte, zuerst ihre himmlisch ausgesprochene Neigung, er mu?te jenen Augenblick denken, wo sie sich ihm so unverhofft gewidmet hatte.
Nun aber, da er in klarster Nacht ein vereintes junges Paar vor sich gesehen, die Liebenswurdigste zusammensturzend, in dem Scho?e des Junglings, beide seiner verhei?enen hulfreichen Wiederkunft nicht achtend, ihn an dem genau bezeichneten Orte nicht erwartend, verschwunden in die Nacht, und er sich selbst im dustersten Zustande uberlassen: wer fuhlte das mit und verzweifelte nicht in seine Seele?
Die an Vereinigung gewohnte, auf nahere Vereinigung hoffende Familie hielt sich besturzt auseinander; Hilarie blieb hartnackig auf ihrem Zimmer, der Major nahm sich zusammen, von seinem Sohne den fruheren Hergang zu erfahren. Das Unheil war durch einen weiblichen Frevel der schonen Witwe verursacht. Um ihren bisher leidenschaftlichen Verehrer Flavio einer andern Liebenswurdigen, welche Absicht auf ihn verriet, nicht zu uberlassen, wendet sie mehr scheinbare Gunst, als billig ist, an ihn. Er, dadurch aufgeregt und ermutigt, sucht seine Zwecke heftig bis ins Ungehorige zu verfolgen, woruber denn erst Widerwartigkeit und Zwist, darauf ein entschiedener Bruch dem ganzen Verhaltnis unwiederbringlich ein Ende macht.
Vaterlicher Milde bleibt nichts ubrig, als die Fehler der Kinder, wenn sie traurige Folgen haben, zu bedauern und, wo moglich, herzustellen; gehen sie la?licher, als zu hoffen war, voruber, sie zu verzeihen und zu vergessen. Nach wenigem Bedenken und Bereden ging Flavio sodann, um an der Stelle seines Vaters manches zu besorgen, auf die ubernommenen Guter und sollte dort bis zum Ablauf seines Urlaubs verweilen, dann sich wieder ans Regiment anschlie?en, welches indessen in eine andere Garnison verlegt worden.
Eine Beschaftigung mehrerer Tage war es fur den Major, Briefe und Pakete zu eroffnen, welche sich wahrend seines langeren Ausbleibens bei der Schwester gehauft hatten. Unter andern fand er ein Schreiben jenes kosmetischen Freundes, des wohlkonservierten Schauspielers. Dieser, durch den verabschiedeten Kammerdiener benachrichtigt von dem Zustande des Majors und von dem Vorsatze, sich zu verheiraten, trug mit der besten Laune die Bedenklichkeiten vor, die man bei einem solchen Unternehmen vor Augen haben sollte; er behandelte die Angelegenheit auf seine Weise und gab zu bedenken, da? fur einen Mann in gewissen Jahren das sicherste kosmetische Mittel sei, sich des schonen Geschlechts zu enthalten und einer loblichen, bequemen Freiheit zu genie?en. Nun zeigte der Major lachelnd das Blatt seiner Schwester, zwar scherzend, aber doch ernstlich genug auf die Wichtigkeit des Inhaltes hindeutend. Auch war ihm indessen ein Gedicht eingefallen, dessen rhythmische Ausfuhrung uns nicht gleich beigeht, dessen Inhalt jedoch durch zierliche Gleichnisse und anmutige Wendung sich auszeichnete:
«Der spate Mond, der zur Nacht noch anstandig leuchtet, verbla?t vor der aufgehenden Sonne; der Liebeswahn des Alters verschwindet in Gegenwart leidenschaftlicher Jugend; die Fichte, die im Winter frisch und kraftig erscheint, sieht im Fruhling verbraunt und mi?farbig aus, neben hell aufgrunender Birke.»
Wir wollen jedoch weder Philosophie noch Poesie als die entscheidenden Helferinnen zu einer endlichen Entschlie?ung hier vorzuglich preisen; denn wie ein kleines Ereignis die wichtigsten Folgen haben kann, so entscheidet es auch oft, wo schwankende Gesinnungen obwalten, die Waage dieser oder jener Seite zuneigend. Dem Major war vor kurzem ein Vorderzahn ausgefallen, und er furchtete, den zweiten zu verlieren. An eine kunstlich scheinbare Wiederherstellung war bei seinen Gesinnungen nicht zu denken, und mit diesem Mangel um eine junge Geliebte zu werben, fing an, ihm ganz erniedrigend zu scheinen, besonders jetzt, da er sich mit ihr unter einem Dach befand. Fruher oder spater hatte vielleicht ein solches Ereignis wenig gewirkt, gerade in diesem Augenblicke aber trat ein solcher Moment ein, der einem jeden an eine gesunde Vollstandigkeit gewohnten Menschen hochst widerwartig begegnen mu?. Es ist ihm, als wenn der Schlu?stein seines organischen Wesens entfremdet ware und das ubrige Gewolbe nun auch nach und nach zusammenzusturzen drohte.
Wie dem auch sei, der Major unterhielt sich mit seiner Schwester gar bald einsichtig und verstandig uber die so verwirrt scheinende Angelegenheit; sie mu?ten beide bekennen, da? sie eigentlich nur durch einen Umweg ans Ziel gelangt seien, ganz nahe daran, von dem sie sich zufallig, durch au?ern Anla?, durch Irrtum eines unerfahrnen Kindes verleitet, unbedachtsam entfernt; sie fanden nichts naturlicher, als auf diesem Wege zu verharren, eine Verbindung beider Kinder einzuleiten und ihnen sodann jede elterliche Sorgfalt, wozu sie sich die Mittel zu verschaffen gewu?t, treu und unablassig zu widmen. Vollig in Ubereinstimmung mit dem Bruder, ging die Baronin zu Hilarien ins Zimmer. Diese sa? am Flugel, zu eigner Begleitung singend und die eintretende Begru?ende mit heiterem Blick und Beugung zum Anhoren gleichsam einladend. Es war ein angenehmes, beruhigendes Lied, das eine Stimmung der Sangerin aussprach, die nicht besser ware zu wunschen gewesen. Nachdem sie geendigt hatte, stand sie auf, und ehe die altere Bedachtige ihren Vortrag beginnen konnte, fing sie zu sprechen an:»Beste Mutter! es war schon, da? wir uber die wichtigste Angelegenheit so lange geschwiegen; ich danke Ihnen, da? Sie bis jetzt diese Saite nicht beruhrten, nun aber ist es wohl Zeit, sich zu erklaren, wenn es Ihnen gefallig ist. Wie denken Sie sich die Sache?»
Die Baronin, hochst erfreut uber die Ruhe und Milde, zu der sie ihre Tochter gestimmt fand, begann sogleich ein verstandiges Darlegen der fruhern Zeit, der Personlichkeit ihres Bruders und seiner Verdienste; sie gab den Eindruck zu, den der einzige Mann von Wert, der einem jungen Madchen so nahe bekannt geworden, auf ein freies Herz notwendig machen musse, und wie sich daraus, statt kindlicher Ehrfurcht und Vertrauen, gar wohl eine Neigung, die als Liebe, als Leidenshaft sich zeige, entwickeln konne. Hilarie horte aufmerksam zu und gab durch bejahende Mienen und Zeichen ihre vollige Einstimmung zu erkennen; die Mutter ging auf den Sohn uber, und jene lie? ihre langen Augenwimpern fallen; und wenn die Rednerin nicht so ruhmliche Argumente fur den Jungeren fand, als sie fur den Vater anzufuhren gewu?t hatte, so hielt sie sich hauptsachlich an die Ahnlichkeit beider, an den Vorzug, den diesem die Jugend gebe, der zugleich, als vollkommen gattlicher Lebensgefahrte gewahlt, die vollige Verwirklichung des vaterlichen Daseins von der Zeit wie billig verspreche. Auch hierin schien Hilarie gleichstimmig zu denken, obschon ein etwas ernsterer Blick und ein manchmal niederschauendes Auge eine gewisse in diesem Fall hochst naturliche innere Bewegung verrieten. Auf die au?eren glucklichen, gewisserma?en gebietenden Umstande lenkte sich hierauf der Vortrag. Der abgeschlossene Vergleich, der schone Gewinn fur die Gegenwart, die nach manchen Seiten hin sich erweiternden Aussichten, alles ward vollig der Wahrheit gema? vor Augen gestellt, da es zuletzt auch an Winken nicht fehlen konnte, wie Hilarien selbst erinnerlich sein musse, da? sie fruher dem mit ihr heranwachsenden Vetter, und wenn auch nur wie im Scherze, sei verlobt gewesen. Aus alle dem Vorgesagten zog nun die Mutter den sich selbst ergebenden Schlu?, da? nun mit ihrer und des Oheims Einwilligung die Verbindung der jungen Leute ungesaumt stattfinden konne.
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