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Iphigenie auf Tauris - Goethe Johann Wolfgang - Страница 10
Vierter Aufzug
Erster Auftritt
Iphigenie :
Denken die Himmlischen
Einem der Erdgebornen
Viele Verwirrungen zu
Und bereiten sie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Und von Schmerzen zur Freude
Tief erschutternden Ubergang:
Dann erziehen sie ihm
In der Nahe der Stadt
Oder am fernen Gestade,
Da? in Stunden der Not
Auch die Hulfe bereit sei,
Einen ruhigen Freund.
O segnet, Gotter, unsern Pylades
Und was er immer unternehmen mag!
Er ist der Arm des Junglings in der Schlacht,
Der Greises leuchtend Aug in der Versammlung:
Denn seine Seel ist stille; sie bewahrt
Der Ruhe heil'ges, unerschopftes Gut,
Und den Umhergetriebnen reichet er
Aus ihren Tiefen Rat und Hulfe. Mich
Ri? er vom Bruder los; den staunt ich an
Und immer wieder an und konnte mir
Das Gluck nicht eigen machen, lie? ihn nicht
Aus meinen Armen los und fuhlte nicht
Die Nahe der Gefahr, die uns umgibt.
Jetzt gehn sie, ihren Anschlag auszufuhren,
Der See zu, wo das Schiff mit den Gefahrten,
In einer Bucht versteckt, aufs Zeichen lauert,
Und haben kluges Wort mir in den Mund
Gegeben, mich gelehrt, was ich dem Konig
Antworte, wenn er sendet und das Opfer
Mir dringender gebietet. Ach! ich sehe wohl,
Ich mu? mich leiten lassen wie ein Kind.
Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten
Noch jemand etwas abzulisten. Weh!
O weh der Luge! Sie befreiet nicht
Wie jedes andre, wahrgesprochne Wort
Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie angstet
Den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt,
Ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte
Gewendet und versagend, sich zuruck
Und trifft den Schutzen. Sorg auf Sorge schwankt
Mir durch die Brust. Es greift die Furie
Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder
Des ungeweihten Ufers grimmig an.
Entdeckt man sie vielleicht? Mich dunkt, ich hore
Gewaffnete sich nahen! — Hier! — Der Bote
Kommt von dem Konige mit schnellem Schritt.
Es schlagt mein Herz, es trubt sich meine Seele,
Da ich des Mannes Angesicht erblicke,
Dem ich mit falschem Wort begegnen soll.
Zweiter Auftritt
Iphigenie. Arkas.
Arkas:
Beschleunige das Opfer, Priesterin!
Der Konig wartet, und es harrt das Volk.
Iphigenie:
Ich folgte meiner Pflicht und deinem Wink,
Wenn unvermutet nicht ein Hindernis
Sich zwischen mich und die Erfullung stellte.
Arkas:
Was ist's, das den Befehl des Konigs hindert?
Iphigenie:
Der Zufall, dessen wir nicht Meister sind.
Arkas:
So sage mir's, da? ich's ihm schnell vermelde:
Denn er beschlo? bei sich der beiden Tod.
Iphigenie:
Die Gotter haben ihn noch nicht beschlossen.
Der altste dieser Manner tragt die Schuld
Des nahverwandten Bluts, das er vergo?.
Die Furien verfolgen seinen Pfad,
Ja, in dem innern Tempel fa?te selbst
Das Ubel ihn, und seine Gegenwart
Entheiligte die reine Statte. Nun
Eil ich mit meinen Jungfraun, an dem Meere
Der Gottin Bild mit frischer Welle netzend,
Geheimnisvolle Weihe zu begehn.
Es store niemand unsern stillen Zug!
Arkas:
Ich melde dieses neue Hindernis
Dem Konige geschwind; beginne du
Das heil'ge Werk nicht eh, bis er's erlaubt.
Iphigenie:
Dies ist allein der Priestrin uberlassen.
Arkas:
Solch seltnen Fall soll auch der Konig wissen.
Iphigenie:
Sein Rat wie sein Befehl verandert nichts.
Arkas:
Oft wird der Machtige zum Schein gefragt.
Iphigenie:
Erdringe nicht, was ich versagen sollte.
Arkas:
Versage nicht, was gut und nutzlich ist.
Iphigenie:
Ich gebe nach, wenn du nicht saumen willst.
Arkas:
Schnell bin ich mit der Nachricht in dem Lager.
Und schnell mit seinen Worten hier zuruck.
O konnt ich ihm noch eine Botschaft bringen,
Die alles loste, was uns jetzt verwirrt:
Denn du hast nicht des Treuen Rat geachtet.
Iphigenie:
Was ich vermochte, hab ich gern getan.
Arkas:
Noch anderst du den Sinn zur rechten Zeit.
Iphigenie:
Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht.
Arkas:
Du haltst unmoglich, was dir Muhe kostet.
Iphigenie:
Dir scheint es moglich, weil der Wunsch dich trugt.
Arkas:
Willst du denn alles so gelassen wagen?
Iphigenie:
Ich hab es in der Gotter Hand gelegt.
Arkas:
Sie pflegen Menschen menschlich zu erretten.
Iphigenie:
Auf ihren Fingerzeig kommt alles an.
Arkas:
Ich sage dir, es liegt in deiner Hand.
Des Konigs aufgebrachter Sinn allein
Bereitet diesen Fremden bittern Tod.
Das Heer entwohnte langst vom harten Opfer
Und von dem blut'gen Dienste sein Gemut.
Ja, mancher, den ein widriges Geschick
An fremdes Ufer trug, empfand es selbst,
Wie gottergleich dem armen Irrenden,
Umhergetriebnen an der fremden Grenze
Ein freundlich Menschenangesicht begegnet.
O wende nicht von uns, was du vermagst!
Du endest leicht, was du begonnen hast:
Denn nirgends baut die Milde, die herab
In menschlicher Gestalt vom Himmel kommt,
Ein Reich sich schneller, als wo trub und wild
Ein neues Volk voll Leben, Mut und Kraft,
Sich selbst und banger Ahnung uberlassen,
Des Menschenlebens schwere Burden tragt.
Iphigenie:
Erschuttre meine Seele nicht, die du
Nach deinem Willen nicht bewegen kannst.
Arkas:
Solang es Zeit ist, schont man weder Muhe
Noch eines guten Wortes Wiederholung.
Iphigenie:
Du machst dir Muh, und mir erregst du Schmerzen;
Vergebens beides: darum la? mich nun.
Arkas:
Die Schmerzen sind's, die ich zu Hulfe rufe:
Denn es sind Freunde, Gutes raten sie.
Iphigenie:
Sie fassen meine Seele mit Gewalt,
Doch tilgen sie den Widerwillen nicht.
Arkas:
Fuhlt eine schone Seele Widerwillen
Fur eine Wohltat, die der Edle reicht?
Iphigenie:
Ja, wenn der Edle, was sich nicht geziemt,
Statt meines Dankes mich erwerben will.
Arkas:
Wer keine Neigung fuhlt, dem mangelt es
An einem Worte der Entschuld'gung nie.
Dem Fursten sag ich an, was hier geschehn.
O wiederholtest du in deiner Seele,
Wie edel er sich gegen dich betrug
Von deiner Ankunft an bis diesen Tag!
Dritter Auftritt
Iphigenie allein :
Von dieses Mannes Rede fuhl ich mir
Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen
Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke! —
Denn wie die Flut mit schnellen Stromen wachsend
Die Felsen uberspult, die in dem Sand
Am Ufer liegen: so bedeckte ganz
Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt
In meinen Armen das Unmogliche.
Es schien sich eine Wolke wieder sanft
Um mich zu legen, von der Erde mich
Emporzuheben und in jenen Schlummer
Mich einzuwiegen, den die gute Gottin
Um meine Schlafe legte, da ihr Arm
Mich rettend fa?te. — Meinen Bruder
Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:
Ich horchte nur auf seines Freundes Rat;
Nur sie zu retten, drang die Seele vorwarts.
Und wie den Klippen einer wusten Insel
Der Schiffer gern den Rucken wendet: so
Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme
Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt,
Da? ich auch Menschen hier verlasse, mich
Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug
Verha?t. O bleibe ruhig, meine Seele!
Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln?
Den festen Boden deiner Einsamkeit
Mu?t du verlassen! Wieder eingeschifft,
Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trub
Und bang verkennest du die Welt und dich.
Vierter Auftritt
Iphigenie. Pylades.
Pylades :
Wo ist sie? da? ich ihr mit schnellen Worten
Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!
Iphigenie:
Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung
Des sichern Trostes, den du mir versprichst.
Pylades:
Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden
Des ungeweihten Ufers und den Sand
Betraten wir mit frohlichen Gesprachen;
Der Hain blieb hinter uns, wir merkten's nicht.
Und herrlicher und immer herrlicher
Umloderte der Jugend schone Flamme
Sein lockig Haupt; sein volles Auge gluhte
Von Mut und Hoffnung, und sein freies Herz
Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust,
Dich, seine Retterin, und mich zu retten.
Iphigenie:
Gesegnet seist du, und es moge nie
Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,
Der Ton des Leidens und der Klage tonen!
Pylades:
Ich bringe mehr als das; denn schon begleitet
Gleich einem Fursten pflegt das Gluck zu nahn.
Auch die Gefahrten haben wir gefunden.
In einer Felsenbucht verbargen sie
Das Schiff und sa?en traurig und erwartend.
Sie sahen deinen Bruder, und es regten
Sich alle jauchzend, und sie baten dringend,
Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen.
Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder,
Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd,
Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.
Drum la? uns eilen, fuhre mich zum Tempel,
La? mich das Heiligtum betreten, la?
Mich unsrer Wunsche Ziel verehrend fassen!
Ich bin allein genug, der Gottin Bild
Auf wohlgeubten Schultern wegzutragen:
Wie sehn ich mich nach der erwunschten Last!
Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten, ohne zu bemerken, da? Iphigenie nicht folgt; endlich kehrt er sich um.
Du stehst und zauderst — Sage mir — du schweigst!
Du scheinst verworren! Widersetzet sich
Ein neues Unheil unserm Gluck? Sag an!
Hast du dem Konige das kluge Wort
Vermelden lassen, das wir abgeredet?
Iphigenie:
Ich habe, teurer Mann; doch wirst du schelten.
Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick.
Des Konigs Bote kam, und wie du es
Mir in den Mund gelegt, so sagt ich's ihm.
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