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Hermann und Dorothea - Goethe Johann Wolfgang - Страница 12
Erato
Dorothea
Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne
Sie noch einmal ins Auge, die schnell verschwindende, fa?te,
Dann im dunkeln Gebusch und an der Seite des Felsens
Schweben siehet ihr Bild; wohin er die Blicke nur wendet,
Eilet es vor und glanzt und schwankt in herrlichen Farben:
So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Madchens
Sanft sich vorbei und schien dem Pfad ins Getreide zu folgen.
Aber er fuhr aus dem staunenden Traum auf, wendete langsam
Nach dem Dorfe sich zu und staunte wieder; denn wieder
Kam ihm die hohe Gestalt des herrlichen Madchens entgegen.
Fest betrachtet' er sie; es war kein Scheinbild, sie war es
Selber. Den gro?eren Krug und einen kleinern am Henkel
Tragend in jeglicher Hand: so schritt sie geschaftig zum Brunnen.
Und er ging ihr freudig entgegen. Es gab ihm ihr Anblick
Mut und Kraft; er sprach zu seiner Verwunderten also:
«Find ich dich, wackeres Madchen, so bald aufs neue beschaftigt,
Hulfreich andern zu sein und gern zu erquicken die Menschen?
Sag, warum kommst du allein zum Quell, der doch so entfernt liegt,
Da sich andere doch mit dem Wasser des Dorfes begnugen?
Freilich ist dies von besonderer Kraft und lieblich zu kosten.
Jener Kranken bringst du es wohl, die du treulich gerettet?»
Freundlich begru?te sogleich das gute Madchen den Jungling,
Sprach:»So ist schon hier der Weg mir zum Brunnen belohnet,
Da ich finde den Guten, der uns so vieles gereicht hat;
Denn der Anblick des Gebers ist, wie die Gaben, erfreulich.
Kommt und sehet doch selber, wer Eure Milde genossen,
Und empfanget den ruhigen Dank von allen Erquickten.
Da? Ihr aber sogleich vernehmet, warum ich gekommen,
Hier zu schopfen, wo rein und unablassig der Quell flie?t,
Sag ich Euch dies: es haben die unvorsichtigen Menschen
Alles Wasser getrubt im Dorfe, mit Pferden und Ochsen
Gleich durchwatend den Quell, der Wasser bringt den Bewohnern.
Und so haben sie auch mit Waschen und Reinigen alle
Troge des Dorfes beschmutzt und alle Brunnen besudelt;
Denn ein jeglicher denkt nur, sich selbst und das nachste Bedurfnis
Schnell zu befriedigen und rasch, und nicht des Folgenden denkt er.»
Also sprach sie und war die breiten Stufen hinunter
Mit dem Begleiter gelangt; und auf das Mauerchen setzten
Beide sich nieder des Quells. Sie beugte sich uber, zu schopfen;
Und er fa?te den anderen Krug und beugte sich uber.
Und sie sahen gespiegelt ihr Bild in der Blaue des Himmels
Schwanken und nickten sich zu und gru?ten sich freundlich im Spiegel.
«La? mich trinken«, sagte darauf der heitere Jungling;
Und sie reicht' ihm den Krug. Dann ruhten sie beide, vertraulich
Auf die Gefa?e gelehnt; sie aber sagte zum Freunde:
«Sage, wie find ich dich hier? und ohne Wagen und Pferde
Ferne vom Ort, wo ich erst dich gesehn? wie bist du gekommen?»
Denkend schaute Hermann zur Erde; dann hob er die Blicke
Ruhig gegen sie auf und sah ihr freundlich ins Auge,
Fuhlte sich still und getrost. Jedoch ihr von Liebe zu sprechen,
War' ihm unmoglich gewesen; ihr Auge blickte nicht Liebe,
Aber hellen Verstand, und gebot verstandig zu reden.
Und er fa?te sich schnell, und sagte traulich zum Madchen:
«La? mich reden, mein Kind, und deine Fragen erwidern.
Deinetwegen kam ich hierher! was soll ich's verbergen?
Denn ich lebe begluckt mit beiden liebenden Eltern
Denen ich treulich das Haus und die Guter helfe verwalten
Als der einzige Sohn, und unsre Geschafte sind vielfach.
Alle Felder besorg ich, der Vater waltet im Hause
Flei?ig, die tatige Mutter belebt im ganzen die Wirtschaft.
Aber du hast gewi? auch erfahren, wie sehr das Gesinde
Bald durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau,
Immer sie notigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen.
Lange wunschte die Mutter daher sich ein Madchen im Hause,
Das mit der Hand nicht allein, das auch mit dem Herzen ihr hulfe,
An der Tochter Statt, der leider fruhe verlornen.
Nun, als ich heut am Wagen dich sah, in froher Gewandtheit,
Sah die Starke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder,
Als ich die Worte vernahm, die verstandigen, war ich betroffen,
Und ich eilte nach Hause, den Eltern und Freunden die Fremde
Ruhmend nach ihrem Verdienst. Nun komm ich dir aber zu sagen,
Was sie wunschen wie ich. — Verzeih mir die stotternde Rede.»
«Scheuet Euch nicht«, so sagte sie drauf,»das Weitre zu sprechen;
Ihr beleidigt mich nicht, ich hab es dankbar empfunden.
Sagt es nur grad heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken:
Dingen mochtet Ihr mich als Magd fur Vater und Mutter,
Zu versehen das Haus, das wohlerhalten Euch dasteht;
Und Ihr glaubet an mir ein tuchtiges Madchen zu finden,
Zu der Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemute.
Euer Antrag war kurz, so soll die Antwort auch kurz sein.
Ja, ich gehe mit Euch und folge dem Rufe des Schicksals.
Meine Pflicht ist erfullt, ich habe die Wochnerin wieder
Zu den Ihren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung;
Schon sind die meisten beisammen, die ubrigen werden sich finden.
Alle denken gewi?, in kurzen Tagen zur Heimat
Wiederzukehren, so pflegt sich stets der Vertriebne zu schmeicheln,
Aber ich tausche mich nicht mit leichter Hoffnung in diesen
Traurigen Tagen, die uns noch traurige Tage versprechen:
Denn gelost sind die Bande der Welt; wer knupfet sie wieder
Als allein nur die Not, die hochste, die uns bevorsteht!
Kann ich im Hause des wurdigen Manns mich, dienend, ernahren
Unter den Augen der trefflichen Frau, so tu ich es gerne;
Denn ein wanderndes Madchen ist immer von schwankendem Rufe.
Ja, ich gehe mit Euch, sobald ich die Kruge den Freunden
Wiedergebracht und noch mir den Segen der Guten erbeten.
Kommt! Ihr musset sie sehen, und mich von ihnen empfangen.»
Frohlich horte der Jungling des willigen Madchens Entschlie?ung,
Zweifelnd, ob er ihr nun die Wahrheit sollte gestehen.
Aber es schien ihm das beste zu sein, in dem Wahn sie zu lassen,
In sein Haus sie zu fuhren, zu werben um Liebe nur dort erst.
Ach! und den goldenen Ring erblickt' er am Finger des Madchens;
Und so lie? er sie sprechen und horchte flei?ig den Worten.
«La?t uns«, fuhr sie nun fort,»zurucke kehren! Die Madchen
Werden immer getadelt, die lange beim Brunnen verweilen;
Und doch ist es am rinnenden Quell so lieblich zu schwatzen.»
Also standen sie auf und schauten beide noch einmal
In den Brunnen zuruck, und su?es Verlangen ergriff sie.
Schweigend nahm sie darauf die beiden Kruge beim Henkel,
Stieg die Stufen hinan, und Hermann folgte der Lieben.
Einen Krug verlangt' er von ihr, die Burde zu teilen.
«La?t ihn«, sprach sie;»es tragt sich besser die gleichere Last so.
Und der Herr, der kunftig befiehlt, er soll mir nicht dienen.
Seht mich so ernst nicht an, als ware mein Schicksal bedenklich!
Dienen lerne beizeiten das Weib nach ihrer Bestimmung!
Denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen,
Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehoret.
Dienet die Schwester dem Bruder doch fruh, sie dienet den Eltern,
Und ihr Leben ist immer ein ewiges Gehen und Kommen
Oder ein Heben und Tragen, Bereiten und Schaffen fur andre.
Wohl ihr, wenn sie daran sich gewohnt, da? kein Weg ihr zu sauer
Wird, und die Stunden der Nacht ihr sind wie die Stunden des Tages,
Da? ihr niemals die Arbeit zu klein und die Nadel zu fein dunkt,
Da? sie sich ganz vergi?t und leben mag nur in andern!
Denn als Mutter, furwahr, bedarf sie der Tugenden alle,
Wenn der Saugling die Krankende weckt und Nahrung begehret
Von der Schwachen und so zu Schmerzen Sorgen sich haufen.
Zwanzig Manner verbunden ertrugen nicht diese Beschwerde,
Und sie sollen es nicht; doch sollen sie dankbar es einsehn.»
Also sprach sie und war mit ihrem stillen Begleiter
Durch den Garten gekommen, bis an die Tenne der Scheune,
Wo die Wochnerin lag, die sie froh mit den Tochtern verlassen,
Jenen geretteten Madchen, den schonen Bildern der Unschuld.
Beide traten hinein; und von der anderen Seite
Trat, ein Kind an jeglicher Hand, der Richter zugleich ein.
Diese waren bisher der jammernden Mutter verloren;
Aber gefunden hatte sie nun im Gewimmel der Alte.
Und sie sprangen mit Lust, die liebe Mutter zu gru?en,
Sich des Bruders zu freun, des unbekannten Gespielen!
Auf Dorotheen sprangen sie dann und gru?ten sie freundlich,
Brot verlangend und Obst, vor allem aber zu trinken.
Und sie reichte das Wasser herum. Da tranken die Kinder,
Und die Wochnerin trank mit den Tochtern, so trank auch der Richter.
Alle waren geletzt und lobten das herrliche Wasser;
Sauerlich war's und erquicklich, gesund zu trinken den Menschen.
Da versetzte das Madchen mit ernsten Blicken und sagte:
«Freunde, dieses ist wohl das letztemal, da? ich den Krug Euch
Fuhre zum Munde, da? ich die Lippen mit Wasser Euch netze:
Aber wenn Euch fortan am hei?en Tage der Trunk labt,
Wenn Ihr im Schatten der Ruh' und der reinen Quellen genie?et,
Dann gedenket auch mein und meines freundlichen Dienstes,
Den ich aus Liebe mehr als aus Verwandtschaft geleistet.
Was Ihr mir Gutes erzeigt, erkenn ich durchs kunftige Leben.
Ungern la? ich Euch zwar; doch jeder ist diesmal dem andern
Mehr zur Last als zum Trost, und alle mussen wir endlich
Uns im fremden Lande zerstreun, wenn die Ruckkehr versagt ist.
Seht, hier steht der Jungling, dem wir die Gaben verdanken,
Diese Hulle des Kinds und jene willkommene Speise.
Dieser kommt und wirbt, in seinem Haus mich zu sehen,
Da? ich diene daselbst den reichen trefflichen Eltern;
Und ich schlag es nicht ab; denn uberall dienet das Madchen,
Und ihr ware zur Last, bedient im Hause zu ruhen.
Also folg ich ihm gern; er scheint ein verstandiger Jungling,
Und so werden die Eltern es sein, wie Reichen geziemet.
Darum lebet nun wohl, geliebte Freundin, und freuet
Euch des lebendigen Sauglings, der schon so gesund Euch anblickt.
Drucket Ihr ihn an die Brust in diesen farbigen Wickeln,
Oh, so gedenket des Junglings, des guten, der sie uns reichte,
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