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Der Schwarm - Schatzing Frank - Страница 4
Ucanan uberlegte, wie gro? die Gefahr war, von einem Hai attackiert zu werden. Im Allgemeinen traf man in diesen Breiten keine Exemplare an, die Menschen gefahrlich wurden. In seltenen Fallen waren Hammer-, Mako— und Heringshaie gesichtet worden, die Fischernetze plunderten, allerdings weiter drau?en. Die gro?en Wei?en lie?en sich vor Peru so gut wie gar nicht blicken. Au?erdem war es ein Unterschied, im freien Wasser zu tauchen oder in unmittelbarer Nahe von Felsen und Riffstrukturen wie hier, die eine gewisse Sicherheit boten. Ein Hai, schatzte Ucanan, war es ohnehin nicht gewesen, der sein Netz auf dem Gewissen hatte.
Seine eigene Unachtsamkeit war schuld. Das war alles.
Er pumpte seine Lungen auf und sprang kopfuber in die Wellen. Es war wichtig, dass er schnell nach unten gelangte, ansonsten wurde ihn die eingeatmete Luft wie einen Ballon an der Oberflache halten. Den Korper senkrecht gestellt, Kopf voran, legte er Abstand zwischen sich und die Oberflache. War das Wasser vom Boot aus dunkel und undurchdringlich erschienen, tat sich um ihn herum nun eine helle, freundliche Welt auf, mit klarer Sicht auf das vulkanische Riff, das sich auf einer Lange von einigen hundert Metern dahinzog. Die Felsen waren gesprenkelt von Sonnenlicht. Ucanan sah kaum Fische, aber er achtete auch nicht darauf. Sein Blick suchte die Formation nach dem Calcal ab. Allzu lange konnte er nicht hier unten verweilen, wenn er nicht riskieren wollte, dass das Caballito zu weit abtrieb. Falls er in den nachsten Sekunden nichts erblickte, wurde er wieder auftauchen und einen zweiten Versuch unternehmen mussen.
Und wenn es zehn Versuche kostete! Wenn es den halben Tag dauerte. Er konnte unmoglich ohne das Netz zuruckkehren.
Dann sah er die Boje.
In etwa zehn bis funfzehn Metern Tiefe schwebte sie uber einem zerklufteten Vorsprung. Das Netz hing direkt darunter. Es schien sich an mehreren Stellen verhakt zu haben. Winzige Rifffische umschwarmten die Maschen und stoben, als Ucanan naher kam, auseinander. Er stellte sich im Wasser aufrecht, trat mit den Fu?en und machte sich daran, das Calcal zu losen. Die Stromung blahte sein offenes Hemd.
Dabei fiel ihm auf, dass das Netz vollig zerfetzt war.
Fassungslos starrte er auf das Zerstorungswerk. Das hatten nicht allein die Felsen verursacht.
Was um alles in der Welt hatte hier gewutet?
Und wo war dieses Etwas gerade?
Von Unruhe ergriffen begann Ucanan an dem Calcal herumzunesteln. Wie es aussah, stand ihm tagelanges Flicken bevor. Allmahlich wurde ihm die Luft knapp. Er wurde es vielleicht im ersten Anlauf nicht schaffen, aber selbst ein ruiniertes Calcal besa? noch einen Wert.
Schlie?lich hielt er inne.
Es hatte keinen Zweck. Er wurde aufsteigen, nach dem Caballito sehen und noch einmal hinabtauchen mussen.
Wahrend er daruber nachdachte, ging um ihn herum eine Veranderung vor. Zuerst glaubte er, eine Wolke sei vor die Sonne gezogen. Die tanzenden Lichtflecken waren von den Felsen gewichen, die Strukturen und Pflanzen warfen keine Schatten mehr …
Er stutzte.
Seine Hande, das Netz, alles verlor an Farbe und wurde fahl. Selbst Wolken konnten diesen plotzlichen Ubergang nicht erklaren. Innerhalb von Sekunden hatte sich der Himmel uber Ucanan verdunkelt.
Er lie? das Calcal los und sah nach oben.
So weit das Auge reichte, zog sich dicht unter der Wasseroberflache ein Schwarm armlanger, schimmernder Fische zusammen. Vor lauter Verbluffung lie? Ucanan einen Teil der Luft in seinen Lungen entweichen. Perlend trieb sie nach oben. Er fragte sich, wo der riesige Schwarm so plotzlich hergekommen war. Nie zuvor hatte er etwas Derartiges gesehen. Die Leiber schienen beinahe stillzustehen, nur hin und wieder gewahrte er das Zucken einer Schwanzflosse oder das Vorschnellen eines einzelnen Tieres. Dann plotzlich vollzog der Schwarm eine Korrektur seiner Position um wenige Grad, die alle Tiere kollektiv vollfuhrten, und die Leiber schmiegten sich noch enger aneinander.
Eigentlich das typische Verhalten eines Schwarms. Dennoch stimmte etwas nicht damit. Es war weniger das Verhalten der Fische, das ihn irritierte. Es waren die Fische selber.
Sie waren einfach zu viele.
Ucanan drehte sich um seine eigene Achse. Wohin er auch schaute, verlor sich die gewaltige Menge der Fische im Unendlichen. Er legte den Kopf in den Nacken und sah durch eine Lucke zwischen den Leibern den Schatten seines Caballito, das sich gegen die kristallen funkelnde, leicht bewegte Oberflache abzeichnete. Dann schloss sich auch dieser letzte Ausblick. Es wurde noch dunkler, und die verbliebene Luft in seinen Lungen begann schmerzhaft zu brennen.
Goldmakrelen, dachte er fassungslos.
Auf ihre Ruckkehr hatte kaum noch jemand zu hoffen gewagt. Im Grunde hatte er sich freuen mussen. Goldmakrelen brachten einen leidlich guten Preis auf dem Markt, und ein randvolles Netz davon ernahrte einen Fischer samt Familie eine ganze Weile.
Aber Ucanan spurte keine Freude.
Stattdessen uberkam ihn schleichende Furcht.
Dieser Schwarm war unglaublich. Er reichte von Horizont zu Horizont. Hatten die Makrelen das Calcal zerstort? Ein Schwarm Goldmakrelen? Aber wie sollte das moglich sein?
Du musst hier weg, sagte er sich.
Er stie? sich von den Felsen ab. Um Ruhe bemuht, stieg er langsam und kontrolliert auf, weiterhin Reste von Luft aussto?end. Sein Korper trieb den dicht gedrangten Leibern entgegen, die ihn von der Wasseroberflache, vom Sonnenlicht und von seinem Boot trennten. Jede Bewegung in dem Schwarm war mittlerweile zum Stillstand gekommen, eine endlose, glotzaugige Ansammlung von Gleichgultigkeit. Und doch war ihm, als ob die Tiere nur seinetwegen so unvermittelt aus dem Nichts erschienen waren, als ob sie auf ihn warteten.
Sie wollen mich abhalten, durchfuhr es ihn. Sie wollen mich daran hindern, wieder aufs Boot zu gelangen.
Plotzlich erfasste ihn kaltes Grauen. Sein Herz raste. Er achtete nicht mehr auf seine Geschwindigkeit, dachte nicht mehr an das zerfetzte Calcal und die Boje, nicht einmal an das Caballito verschwendete er noch einen Gedanken, nur noch daran, die schreckliche Dichte uber sich zu durchsto?en und zuruck an die Oberflache zu gelangen, zuruck ins Licht, in sein Element, in Sicherheit.
Einige der Fische zuckten zur Seite.
Aus ihrer Mitte schlangelte sich etwas auf Ucanan zu.
Nach einer ganzen Weile frischte der Wind auf.
Immer noch war keine Wolke am Himmel zu sehen. Es war und blieb ein schoner Tag. Der Wellengang hatte in kaum nennenswerter Weise zugenommen, ohne dass es fur einen Mann in einem kleinen Boot ungemutlich geworden ware.
Aber es war kein Mann zu sehen.
Niemand weit und breit.
Nur das Caballito, eines der letzten seiner Art, trieb langsam hinaus auf den offenen Ozean.
ERSTER TEIL
ANOMALIEN
Der zweite Engel goss seine Schale uber das Meer. Da wurde es zu Blut, das aussah wie das Blut eines Toten; und alle Lebewesen im Meer starben. Der dritte goss seine Schale uber die Flusse und Quellen. Da wurde alles zu Blut. Und ich horte den Engel, der die Macht uber das Wasser hat, sagen: Gerecht bist du …
An der chilenischen Kuste wurde vergangene Woche ein riesiger, unidentifizierter Kadaver angeschwemmt, der sich an der Luft rasch zersetzte. Nach Angaben der chilenischen Kustenwache handelt es sich bei der formlosen Masse nur um einen kleinen Teil einer gro?eren Masse, die zuvor im Wasser treibend beobachtet wurde. Die chilenischen Experten fanden keinerlei Knochen? die ein Wirbeltier selbst in einem derartigen Zustand noch hatte. Die Masse sei zu gro? fur Walhaut und wurde auch nicht danach riechen. Die bisherigen Erkenntnisse weisen erstaunliche Parallelen zu den sogenannten Clobsters auf. Diese gallertartigen Massen werden immer wieder an Kustenabschnitten angeschwemmt. Von welcher Art Tier sie stammen, kann allenfalls vermutet werden.
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